Nachruf auf Helmut Palmer
gehalten von Hermann-Arndt Riethmüller
an Helmut Palmers Beerdigung (29.12.2004)

 

Liebe Frau Palmer, liebe Familienangehörige, Freunde und Bekannte von Helmut Palmer,

die Familie hat mich gebeten, zum Gedenken an den Verstorbenen hier einige Worte zu sprechen. Ich tue das gerne, weil ich weit genug weg war von Helmut Palmer, so dass ich von persönlichen Verletzungen verschont blieb, und weil ich ihn deshalb als einen ganz besonderen Menschen kennen und schätzen lernen konnte.

Der Lebensweg von Helmut Palmer war schwer, für ihn und für seine Familie, die er oft über Maßen belastet hat – das, was er sich zumutete, forderte er auch von den anderen, und ein großer Teil seiner Verzweiflung und Verbitterung beruhte darin, dass wir anderen nicht bereit waren und auch nicht bereit sein konnten, ihn, seinen Weg und seine Ziele so radikal anzunehmen, wie er es für notwendig hielt.

 

Helmut Palmer (1930 - 2004)

Die Tragik von Helmut Palmer liegt darin, dass er, der die Bürokratie, die Denkfaulheit, den Untertanengeist mit bissigem Witz bekämpfte, der für Demokratie, Toleranz und Zivilcourage sein bürgerliches Leben aufs Spiel setzte, diese Tugenden im Umgang mit sich selbst nicht anwenden konnte.

 

Es sind wohl zwei entscheidende Erfahrungen in seinem Leben, die verhindert haben, dass Helmut Palmer sich für sein Land, das er immer geliebt hat, ganz offiziell einsetzen konnte:

Es ist zum einen die demütigende Erfahrung seiner Kindheit, das Ausgegrenztsein, die Hänseleien. Obwohl er den Naziterror im Vergleich zum Schicksal vieler Juden körperlich unversehrt überstand, konnte er nie überwinden, dass er, der eben kein Jude war, dies Schandmal eingebrannt bekam. Noch in den letzten Wochen seines Lebens hat er voll Verbitterung über diesen „Antisemitismus ohne Juden“ gesprochen.

Und zum anderen war es die Erfahrung mit einer unbarmherzigen Bürokratie, die seine Genialität nicht erkannt und genutzt, sondern ihn gedemütigt hat. Diese Demütigungen begannen 1963 mit seiner Festnahme in Esslingen – ich habe keinen Zweifel daran, dass seine Erinnerungen an die Schläge und die miese Behandlung wahr sind. Diese Demütigungen gingen weiter, und es ist keine Entschuldigung für den Justiz- und Vollzugsapparat unseres Landes, dass in den 40 darauf folgenden Jahren immer wieder einmal auch Gnade vor Recht erging, dass unabhängige Richter und Politiker durchaus auch in der Lage waren, Palmers Tragik und Palmers Einsatz für das Land entsprechend zu würdigen. Helmut Palmer wurde insgesamt zu drei Jahren Gefängnis verurteilt, und man muss kein Palmer sein, um diese Bestrafung im Vergleich zu manch milden Urteilen gegen Kriminelle mit weißem Hemd und Krawatte als skandalös zu bezeichnen. Man versuchte, ihn zwangsweise zu psychiatrisieren, man warf ihn ein letztes Mal, krebskrank und fast 70 Jahre alt, ins Gefängnis, und ich habe persönlich mit erlebt, wie 300 Polizisten in Uniform, die beim Dreikönigstreffen der FDP für bessere Behandlung demonstrierten, sich beim Anblick von Helmut Palmer in eine geistlose Masse verwandelten, ihn persönlich angriffen und „Palmer raus“ skandierten.

Helmut Palmer hat auf diese Traumatisierung auf die ihm eigene, einmalige und unverwechselbare Weise reagiert: Mit seiner scharfen, volkstümlichen, entlarvenden Sprache, mit seinem Hass auf die Bürokratie, mit einer Sturheit, die seine Freunde und Feinde oft zur Verzweiflung brachte. Helmut Palmer hat es uns nicht immer leicht gemacht, aber viel mehr, als er uns zugemutet hat, hat er sich selbst zugemutet.

Ist Helmut Palmer in seinem Leben, mit seinem Leben gescheitert, weil er mit den Verletzungen, die man ihm beigebracht hat, nicht fertig werden konnte? Nein, Helmut Palmer ist nicht gescheitert. Trotz seiner vielen Niederlagen, trotz seiner Sturheit, trotz seiner vielen Fehler hat er sich um unser Land verdient gemacht.

Da sind zunächst seine Kandidaturen um Bürgermeisterposten, Landtags- und Bundestagsmandat zu nennen, die auch – wie 1974 in Schwäbisch Hall – zu persönlichen Triumphen führten. Während andere – ich denke da an Gudrun Ensslin und Andreas Baader – aus ihrer Ohnmacht und Verzweiflung zu brutalen Terroristen wurden, hat Helmut Palmer immer gewaltlos, friedlich und mit demokratischen Mitteln gekämpft, und er war mit Recht stolz darauf. Er hat landauf, landab den Etablierten das Fürchten gelehrt, er hat auf urdemokratische Weise um jeden Wähler gekämpft, so erfolgreich Politikverdrossenheit bekämpft und gezeigt, dass Politik auch Spaß machen kann.

Wichtiger allerdings als das Einsammeln von Stimmen war Helmut Palmers unermüdlicher Einsatz für einen ökologisch wie ökonomisch sinnvollen Obstbau. Hier vor allem war er seiner Zeit um Jahrzehnte voraus, und er hat darunter gelitten, dass sein Einsatz von den beamteten sogenannten Obstbauexperten nicht gewürdigt, sondern, von wenigen Ausnahmen abgesehen, giftig befeindet wurde. Welche Dummheit, welche Arroganz, welch kleinbürgerlichen Dünkel gegen den „Moses“ aus Geradstetten musste Palmer ertragen! Zu seinen unvergänglichen Leistungen gehört, dass er nie müde wurde und selbst sterbenskrank sein Wissen weitergab. Dummheit und Arroganz waren auch dann die Antwort, wenn Helmut Palmer andere Themen aufgriff, idiotische Verkehrsführungen, Ampelanlagen und Bepflanzungen angriff und immer häufiger selbst tätig wurde, weil die Verwaltung weiter schlief.

So wird Helmut Palmer vielen Menschen in Erinnerung bleiben: Als unbeugsamer Einzelkämpfer um mehr Demokratie, mehr Gerechtigkeit und einen sinnvollen Umgang mit der Natur und deren Ressourcen. Wir, die wir Helmut Palmer näher kennen lernen durften, wissen, dass dies nur die eine, öffentliche und veröffentlichte Seite seines Lebens darstellte.

Helmut Palmer war ein höchst sensibler, unheimlich freizügiger und großzügiger Mensch. Er hat das Geld, das er verdiente, immer nur als Mittel gesehen, um seine Politik in Anzeigen und Wahlkämpfen zu vermitteln, und um anderen Menschen zu helfen. Er, dem manche vorwarfen, in jüdischer Manier Geld auf Kosten anderer zu scheffeln, hat sich und seine Familie wegen seiner Großzügigkeit fast an den Bettelstab gebracht.

Meine tiefe Zuneigung zu dem Menschen Palmer speist sich aus zwei Quellen: Es ist diese ganz persönliche Großzügigkeit im zwischenmenschlichen Bereich, die für mich immer mehr zählte als der gefühllose und aggressive Panzer, den ihm das Leben geschmiedet hat. Und das zweite, was mir Helmut Palmer unvergesslich macht, ist, dass er mir Lebensalternativen aufgezeigt, dass er mich im Spiegel seiner Geradlinigkeit gezwungen hat, mich selbst besser kennen zu lernen.

Ganz am Ende seines Lebens hat Helmut Palmer mit sich und der Welt Frieden geschlossen. Er hat wenige Tage vor seinem Tod alle seine Kinder gesehen, er hat um Verzeihung gebeten für die Verletzungen, die er zugefügt hat, vielleicht zufügen musste, und er hat uns mit offenen Augen und aufrecht verlassen, wie es sein Leben war.

Gerade in der Zeit, als Helmut Palmer endgültig in die Klinik musste, hörte ich von Rüdiger Safranski einige bemerkenswerte Sätze über Friedrich Schiller:

 „Nach Schillers Tod am 9. Mai 1805 wurde die Leiche obduziert ... Doktor Huschke, der Leibmedicus des Weimarer Herzogs, fügte dem Obduktionsbefund den lapidaren Satz hinzu: ‚Bei diesen Umständen muß man sich wundern, wie der arme Mann so lange hat leben können‘. Hatte nicht Schiller selbst davon gesprochen, daß es der Geist sei, der sich seinen Körper baut? Ihm war das offenbar gelungen. ... Aus dem Obduktionsbefund läßt sich die erste Definition von Schillers Idealismus ablesen: Idealismus ist, wenn man mit der Kraft der Begeisterung länger lebt, als der Körper erlaubt. Es ist der Triumph eines erleuchteten, eines hellen Willens. Bei Schiller war der Wille das Organ der Freiheit.“

Helmut Palmer hat dieses Buch als letztes gelesen, und er hat diesen Satz, dass „Idealismus ist, wenn man mit der Kraft der Begeisterung länger lebt, als der Körper erlaubt“, ganz persönlich für sich genommen.

Wir müssen heute Abschied nehmen von einem Idealisten mit ganzer Seele. Ihnen, Frau Palmer, und uns bleibt die Erinnerung an einen großen Menschen.

 

Hermann-Arndt Riethmüller